1753-04-04, de Dorothee Henriette von Runckel à Louise Adelgunde Gottsched.

… Aber etwas ganz neues.
Voltaire ist hier, er ist selbst hier, ganz gewiss! Er stieg zuerst bei dem Hrn. Breitkopf ab. Ich wusste es, wollte mich aber nicht sehen lassen, weil mein Freund ausgegangen war, und ich seinen Entschluss erwarten wollte. Er kommt, Hr. Breitkopf führet ihn zum Voltaire hinein, dieser fraget: ob es in Leipzig bequeme Zimmer gäbe? — Oui Monsieur, je vous ménerai dans une auberge où vous serez parfaitement bien. — Man ging hierauf mit dem ganzen Gefolge fort, der blaue Engel hatte die Ehre diesen Gast aufzunehmen. Voltaire hätte vielleicht lieber bei einem Dichter geherberget; allein es war allerlei dabei zu bedenken, davon mein Herr und seine Frau schon lange vorher geredet hatten. Er ist krank, und ob er gleich nicht so krank, als er sich stellet, so ist er doch eine zerbrechliche Maschine, un homme cassé qui a le malheur d'avoir 60 ans. Ich habe ihn noch nicht gesehen: er geht nicht aus, weil er kränker thut als er ist, und ein Buch wider den M… und wider die ganze Welt will drucken lassen. Mein Mann besucht ihn täglich, und findet mehr Tugend, Gelehrsamkeit, Gründlichkeit und Billigkeit gegen die Deutschen bei ihm, als er gedacht hat. Wo ich ihn nicht eher sehe, so geschieht es künftigen Donnerstag, da wir zusammen nach Meuselwitz fahren. Tout Voltaire qu'il est, weiss ich wohl, mit wem ich unendlich lieber dahin führe! Er ist mit Bewilligung des Königs von Berlin abgereist, weil er krank und fast dem Tode nahe gewesen und die Bäder zu Plombieres nöthig zu haben scheint….

Gottsched