1775-08-22, de Count Friedrich Leopold zu Stolberg à Henrietta zu Stolberg, countess von Bernstorff.

… Am 25. Nachmittags ritten wir nach Ferney.
Die Darmstädter fuhren hin; der Maler Hubert hatte uns Alle bei Voltaire gemeldet. Der Alte feierte den Tag avec tous ses vassaux die fête de St. Louis. Er empfing die fürstlichen Personen mit lächerlicher Pracht. Zwei Reihen vassaux, die eine roth, die andere grün, jede mit blossen Degen und fliegenden Fahnen, umgaben den Hof. In der Mitte wurden bei unserer Ankunft Kanonen gelöst. Er kam dem Fürsten entgegen und führte die Fürstin in sein Haus. Eine lange suite von Zimmern war voll von Herren und Damen, welche ihn besuchten und fetirten. Er trug einen rothen Rock mit einer schmalen, eine Weste mit einer breiten goldenen Tresse, eine cendré Allonge-Perrücke, cramoisinsammtene Hosen. Er war vom besten humeur von der Welt, voller attention für uns Alle, besonders für die Fürstin und die junge Prinzessin, welche ihn ganz munter machte. Es ist ein schöner Greis (wenn er übler Laune ist, soll er wie ein Teufel aussehen), er hat herrliche feurige Augen, die sehr sanft und freundlich werden können. Sichtbar ist seine Eitelkeit jeden Augenblick; sie ist so allegenwärtig wie sein Witz. Er führte uns in seine Bibliothek, welche sehr zahlreich ist; fast in jedem Buche stecken fünf bis sechs Zeichen; er kennt jedes. Noch immer schreibt er, nun soll in Holland ein Commentaire sur l'écriture sainte von ihm unter der Presse sein. Sein Gut, ob es gleich in Frankreich liegt, gehört unter einen Savoy'schen Sprengel. Neulich hat ihn der Bischof in Turin verklagt, gleich hat Voltaire aus Furcht in Gegenwart einer gerichtlichen Person und von einer Reihe seiner vassaux mit gezückten Schwertern begleitet, communicirt, bei der Beichte und Communion aber solche verfluchte Profanationen angebracht, dass ich mir ein Gewissen daraus mache, sie nur zu beschreiben. Er soll nun gesünder sein, als er vor zwanzig Jahren war; alle Damen, die ihn besuchen und idolatrisiren, sagen ihm so oft, er werde hundert Jahre alt, dass er es glaubt, ob er gleich sein Grab schon hat machen lassen. Ich hoffe nicht, dass er hundert Jahre alt wird, aber zu fürchten ist doch, dass er noch vieilleicht sieben bis acht Jahre sein Gift aushaucht, das ihm gewiss noch in der Stunde des Todes von den Lippen triefen wird. Sein Ferney ist ein delicieuser Ort. Die fruchtbarste Ebene, mit Bergen umkränzt. Sein Garten macht ihm Ehre. Allerliebste Bosquets, kleine Gehölze, überall herrliche Aussicht; kein colifichet; er had ihn selbst angelegt. Das Haus ist gut eingerichtet und prächtig meublirt. Er wohnt in der Bibliothek; da liest, arbeitet er. Er hatte eine Hecke Kanarienvögel. Ich habe was von ihm gelernt, das Du für Deine Vögel vielleicht brauchen kannst. Die Materialien zum Neste hängt er in einem Netze den Vögeln in das Bauer, so können sie es nach Herzenslust herausholen. Wir schieden von ihm unter Abfeuerung der Kanonen….